Michael Schaefer
dormeur_OlafWinkler
Le Dormeur dans l'Image
Olaf Winkler über die Arbeit Le dormeur du val
Michael Schäfer arbeitet mit Bildern, die fotografischen oder filmischen Ursprungs sind, aber oft keineswegs von ihm selbst stammen. Diese medialen Fundstücke (wobei es eher so ist, dass nicht er diese Bilder findet, sondern sie uns) manipuliert er, konfrontiert er mit selbstproduziertem Bildmaterial. Die Serie Invasive Links etwa basiert auf Stills von Handyvideos aus dem Syrienkrieg, in die Figuren unserer ,Normalität’ integriert sind. Die Manipulation durch das Integrieren einer Figur aus ,unserem‘ Lebenskontext in jenen des ,fremden‘ Krieges verändert das Bild mittels einer neuen, bildinternen Konstellation, die einer theaterhaften Inszenierung gleicht. Unser Blick auf das Bild ändert sich dadurch nicht eigentlich kategorisch, zumindest wenn wir davon ausgehen, dass wir die Ursprungsbilder auch im Alltag noch mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit betrachten und sie noch nicht völlig im weißen Rauschen untergehen. Der Blick wird vielmehr verstärkt, man könnte auch sagen: beschleunigt, als würde ins Bild ein Vergrößerungsglas geschmuggelt oder eine zusätzlich Lichtquelle, die das Gegebene deutlicher macht. Die Konfrontation im Bild schärft den Blick auf eine Konfrontation, die real ohnehin besteht und in der jene medialen Bilder ihre spezifische Rolle einnehmen. „Invasive“ sind nicht die Eingriffe Schäfers ins Bild, sondern die Bilder selbst in unserem Alltag.
Bei den Werken Le dormeur du val gilt all dies ähnlich und doch völlig anders. Ins Bild wird nicht ein Stellvertreter unserer selbst, als Verstärker des Sehvorgangs (oder auch der globalpolitischen Realitäten), eingefügt, sondern ein kategorisch anderes Element, ein Himmelsausschnitt, der zunächst in diesem Ursprungsbild nichts zu suchen hat: Es ist eine Hinzufügung, die am ehesten als eine poetische beschrieben werden kann (es ist natürlich auch, man denke nur an Magritte, ein surrealistisches Zitat). Dieses Poetische tritt aber eben nicht nur hinzu, sondern es nimmt zugleich etwas weg, es entfernt etwas und setzt sich an dessen Stelle. Was sehen wir also? Wir sehen einen Landschaftsausschnitt in Nahaufnahme bzw. Gräser oder (vollkommen ausgetrockneten) Lehmboden. Wir sehen darin ein unregelmäßig geformtes Stück Himmel. Der visuelle Widerspruch ist weniger groß als es klingt; eben aufgrund der Form des Ausschnitts liegt die Assoziation einer Spiegelung nahe – den Himmel auf dem Grund zu sehen ist gar nicht unvertraut. Was wir aber noch sehen, spätestens beim Nähertreten: Der Himmel schwebt rund 1,5 cm über dem Rest des Bildes. Es ist eben keine spiegelnde Pfütze, sondern die Montage zweier Fotografien, auf Abstand.
Das erwähnte Wegnehmen, das einer Tilgung entspräche – es ist keines: Was hinter den Wolken liegt, ist nicht getilgt, sondern weiterhin vorhanden, allerdings nun schwieriger und eingeschränkt sichtbar. Schaue ich im schrägen Winkel, sehe ich den Beginn der Figur darunter. Das aber ist alles, was ich davon sehen muss, um zu begreifen, dass dies das Bild eines getöteten Menschen ist. Auch wenn ich sein Gesicht, seine Verletzungen, seine zerrissene Kleidung kaum oder nur zum Teil sehen und nicht bis ins kleinste Detail studieren kann, sehe ich ihn im Ganzen.
Die Form des Wolkenhimmels ist also nicht die zufällige Form einer von Bodenunebenheiten geformten Pfütze. Es ist der Umriss des Toten. Es ist der Umriss eines Toten, den wir deswegen nicht sofort erkannt haben, weil er nicht ‚friedlich eingeschlafen‘ ist, wie wir es zu sagen gewohnt sind – wenn jemand, wie wir hoffen, schmerzfrei gestorben ist, ruhig ausgestreckt, womöglich im Kreise seiner Angehörigen (das gesamte Spektrum jener Worte mit sich führend, die wir für diesen Moment reserviert haben). Es ist ein gekrümmter Körper, der Körper eines im Krieg Gefallenen; wenn er durch Schüsse fiel, ist es nicht der Körper eines Erschossenen, sondern eines Zerschossenen; sein Umriss ist nicht der von Leonardos vitruvianischem Ideal, sondern deformiert: Umrisse, die wir, fotografiert, spätestens seit dem 1. Weltkrieg kennen. Der Himmelsausschnitt ist also keine Spiegelung. Er ist, möglicherweise, was man sähe, schaute man von jenem Stück Grund, das wir sehen, schaute man von dort, wo der Tote liegt, nach oben.
Wir beginnen zu ahnen, dass die Bilder die gleiche Herkunft haben wie jene der Invasive Links (tatsächlich sind es Aufnahmen, die kurdische Soldaten von gefallenen IS-Kämpfern gemacht haben); sie werden allerdings auf viel grundsätzlichere Weise als dort verwandelt. Denn diese poetische Konfrontation leistet beides: Sie hinterfragt die Bedeutung des Ursprungsbildes – was wissen wir wirklich über diese Bilder, ihre Funktion? Und sie kreiert eine eigene Erzählung, die nach der Würde des Toten fragt, unabhängig davon, auf welcher Seite er kämpfte.
Schäfers Wahl der technischen Mittel (um sie in der Betrachtung überhaupt zu thematisieren) ist angemessen, denn sie stellt sich in den Dienst dessen. Die jpeg-Artefakte des Ursprungsbildes, auf mattem Papier, verweisen eben nicht nur zurück auf die mediale Herkunft, auf jenen Kanon von Wahrheit, Bildkonstruktion, Vermittlung. Sondern sie kreieren auch, jenseits des physischen Abstands, eine Differenz zu den Himmelsausschnitten. Deren hohe Qualität (fotografiert mit einer Mittelformatkamera) verbindet sich mit dem glänzenden (also doch auch: spiegelnden) Papier und der bewusst nicht-handwerklichen Perfektion des CNC-Cutouts zu einem, ja, Schwebebild. Der umfangende Rahmen macht dabei aus der Fotografie ein Objekt. Das hat ganz praktische Gründe – das Abdecken, das Montieren auf Abstand, den nicht völlig freien Blick zwischen die Ebenen – und gibt zugleich Halt, verleiht eine seltsame, artifizielle Ruhe.
Was, schließlich, auch zum dormeur du val führt: Titelgebend ist das gleichnamige Sonett von Arthur Rimbaud, geschrieben im Oktober 1870, drei Monate nach Beginn des Deutsch-Französischen Kriegs. Rimbaud schildert einen idyllischen Flecken Natur mit Bachlauf, an dem ein Soldat ausruht. Nach zurückhaltenden Andeutungen in der dritten Strophe wird erst mit der letzten Zeile deutlich, dass der Soldat nicht schläft, sondern tot ist: „Il a deux trous rouges au côté droit“.
Es ist jene Verzögerung, die bei Schäfer als Parallele wiederkehrt. Der Rimbaud’schen Idylle steht nun ein – wenn auch weniger idyllischer – Naturausschnitt gegenüber; es bedarf in beiden Fällen des genaueren Blicks, um überhaupt zu erkennen. Eine weniger offensichtliche Parallele liegt in der Form – Rimbaud greift auf die traditionelle Form des Sonetts zurück, die den Widerspruch zwar erlaubt, aber das Harmonische nicht verlässt. Ähnlich bleibt Schäfer bei einer klar umrissenen Grundform. Der Schaukasten erlaubt die Konfrontation von zwei oder mehr Elementen, die einander zunächst unverbunden gegenüberstehen; er nutzt dabei aber weder brutale Mittel, noch übersteigt er den Maßstab des Überschaubaren (wie bei den Fototapeten der Invasive Links, wie sie 2020 bei Benhadj&Djilali in Berlin nahezu wandfüllend zu sehen waren).
Es wäre zu präzisieren: Wer genauer schaut, kann früher schon als bei Rimbaud Hinweise finden auf Krieg und Tod; so sind etwa in Le dormeur du val 02 Granate und Magazin nicht abgedeckt: Sie liegen sichtbar und offen da. Was auch heißt: Sind sie nicht, oder nicht mehr, Teil dessen, der tot dort liegt?
Dennoch sind diese Arbeiten nicht laut, sondern lakonisch, und eben auch: schön. Und: Wenn der Himmelsausschnitt möglicherweise dem Blick aufwärts entspricht, dem nicht mehr möglichen Blick des Getöteten – dann holt uns Schäfer letztlich doch, und nicht über einen Stellvertreter, sondern über eben jenen Blick, ins Bild hinein.
Olaf Winkler
Olaf Winkler lebt als freier Autor, Journalist und freier Künstler in Schwerte und Brüssel.
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