Michael Schaefer
Gespräch_Florian_WA-the_flow
Michael Schäfer im Gespräch mit Florian Ebner
in With/Against the Flow, Zeitgenössische fotografische Interventionen, #2 Michael Schäfer, 2016
f.e. – Du kommst aus einer Generation von Fotografen, die Anfang der Neunzigerjahre noch in der analogen Praxis des Mediums ausgebildet wurden, aber bereits auf der Suche nach neuen Wegen dokumentarischer Fotografie waren. Kannst du im Rückblick sagen, welche Erfahrungen für dich prägend waren?
m.s. – Ursprünglich wollte ich Fotojournalist werden. Schon während des Studiums verabschiedete ich mich langsam von diesem Ziel. Das Anliegen, etwas über die Welt zu erzählen, wich der Hinterfragung fotografischer, medialer Bildwelten. Meine erste Begegnung mit einem Bildbearbeitungsprogramm war dann die Initialzündung. Ich war dabei, im analogen Farblabor an der HGB Leipzig die Bilder für meine Abschlusspräsentation zu vergrößern, und hatte mich eher zufällig an einen der frisch eingerichteten Computerarbeitsplätze gesetzt. Die praktischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung und Manipulation, die sich schon bei dieser ersten Erfahrung mit Photoshop für mich abzeichneten, würden, so dachte ich, das, was jenseits der Zeichenhaftigkeit des Bildes liegt, den Abdruck des Realen über kurz oder lang infrage stellen. Das würde bedeuten, dass die Digitalisierung des Mediums uns in eine Art vorfotografischen Zustand katapultieren würde, ähnlich jener Zeit, in der gezeichnete oder gemalte Bilder als Dokumente angesehen wurden.
Meine erste digitale Arbeit war eine Serie von Straßenfotografien, genauer genommen waren es Bilder von Flaneuren in den Shopping Malls in Vancouver, die ich aus verschiedenen Belichtungen zusammensetzte. Ich wollte herausfinden, wie sich manipulierte, synthetische Bilder von analogen Aufnahmen unterscheiden. Aus meiner Sicht war etwas Wesentliches der analogen Fotografie verloren gegangen, und zwar das Vertrauen in den – besonders die Straßenfotografie kennzeichnenden – fotografischen Augenblick. Das Verhältnis der Dinge und Personen zueinander gehorchte im Bildraum nicht mehr nur den Gesetzen der Optik, sondern war zu einer Frage der Glaubwürdigkeit, der Plausibilität geworden.
f.e. – Den am Rechner zusammengesetzten Szenen eines fotografierenden „Malers des modernen Lebens“, wie ihn Charles Baudelaire skizzierte, folgten inszenierte Porträts. Wie kamst du dazu, die Rhetorik der Bilder zu analysieren und Porträts als fotografische Konstruktion eines Images zu verstehen, wie du es dann in der Serie Les Acteurs getan hast?
m.s. – Mich hat interessiert, wie die Konstruktion eines öffentlichen Images funktioniert, sowohl seitens der Fotografierten als auch hinsichtlich der Wirkung auf den Betrachter. Das repräsentative Porträt ist ein Mittel der sozialen Kommunikation und sagt meist mehr über die Gesellschaft als über die portraitierten Individuen aus. Für die Serie Les Acteurs habe ich Schüler eines Eliteinternats gebeten, sich von mir in repräsentativen Posen von Topmanagern fotografieren zu lassen. Die Pose wählten die Schüler jeweils selbst; sie nahmen die Aufgabe sehr ernst und korrigierten ihre Haltung mehrfach, nachdem sie die schon gemachten Aufnahmen am Computerbildschirm begutachtet hatten. Ich glaube, sie riefen die Posen aus der Erinnerung an ähnliche Bilder von ihren Eltern und Großeltern ab. Dabei wurden kulturelle Prägungen sichtbar, gerade weil sie noch kein eigenes Rollenbild für eine zukünftige, zu imaginierende Machtposition entwickelt hatten.
Um die Zeit der Bankenkrise 2008 habe ich für das Bild Es wird nie wieder sein wie es einmal war fünf Persönlichkeiten in Anzug und Krawatte an unterschiedlichen Orten fotogarfiert und dann – digital natürlich – in einem Gruppenporträt vor poppigem Hintergrund vereint. Alle fünf der schon etwas älteren Herren lachen, was man erst einmal als sympathisch verbucht. Der Betrachter könnte das auch als joviales Gehabe interpretieren oder sich verlacht fühlen. Das Bild ist die extreme Zuspitzung einer alltäglichen visuellen Floskel und ein indirekter Kommentar zum gesellschaftlichen Klima der Zeit, in der es entstand.
f.e. – In einem Gespräch, dass du 2010 mit dem Blogger Jörg Colberg geführt hast, redest du mit Blick auf den Werkzyklus Vorbilder von „template narratives“ (schablonenartigen Erzählungen), die du mit dieser Arbeit analysierst. Was verstehst du darunter?
m.s. – Grob gesagt, ging es mir in der Serie um die Fiktionalisierung oder auch Boulevardisierung von Fakten in den Nachrichtenmedien. Politische Prozesse werden dort häufig verkürzt dargestellt, die Akteure erscheinen auf der medialen Bühne als Schauspieler in sich immer wieder ähnlich wiederholenden Geschichten über Aufstieg und Fall, Rivalität, Verrat und Ähnliches. Durch die Re-Inszenierung solcher Pressebilder mit von mir engagierten Schauspielern wird das Foto tatsächlich zu so etwas wie einem Bühnenbild. Ich glaube, diese Referenz zum Theater ist in allen meinen Arbeiten zu spüren.
f.e. – Spielen diese schablonenartigen Erzählungen von Medienbildern, also ihre klischeeartige, infizierende Macht, auch in der Serie Generation eine Rolle?
m.s. – In gewisser Weise schon. Nur dass sich die medialen Erzählungen eher im Hintergrund der Bilder abspielen und das gleich mehrfach. Einerseits ist das Laufstegmodel, um das es bei Generation geht, in den letzten Jahren zu einer Art Vorbild für Heranwachsende geworden. Es sind vor allem markt-affirmative Wertvorstellungen, die sich in dieser Figur manifestieren. Die Vermittlung dieser Werte fand nicht zuletzt durch die kontrollierten Plots der Modelshows im Fernsehen statt. Andererseits operiert auch die Modewelt mit zu Zeichen geronnenen narrativen Versatzstücken. Sie schafft Bilder, Identitätsverpackungen, manchmal bieder, manchmal provokativ, die allesamt auf stereotypen, leicht verständlichen Erzählungen basieren. Es sieht so aus, als bräuchten wir diese Geschichten, um uns im Leben zu orientieren. Alles scheint mit einer Geschichte beziehungsweise einer eingängigen Message ausgestattet sein zu müssen, jedes Produkt, jeder Konzern und jedes Individuum. Skepsis ist da sicher angebracht.
f.e. – Über die normative, soziale Kraft der Bilder hat bereits die Pictures Generation gearbeitet, Künstlerinnen und Künstler wie Cindy Sherman und Richard Prince. Was glaubst du, unterscheidet deinen Ansatz und den anderer Kollegen, die mit Medien- und Werbebildern arbeiten, von dieser ersten Generation?
m.s. – In den Siebzigerjahren ermöglichte die sich durchsetzende Einsicht, dass Identität eine soziale Konstruktion ist, eine kritische Hinterfragung von gesellschaftlichen Normen. Der Einzelne war – in einem Umfeld von Popkultur und aufkommenden Genderdiskurs – ermutigt, sich von seinen sozialen Zuschreibungen zu lösen, sich selbst neu zu erfinden. Heute befinden wir uns an einem anderen Punkt. Es geht nicht mehr um die Befreiung des Individuums von äußeren Zwängen und ideologischen Konstrukten. Das Bild vom formbaren, flexiblen Selbst, die „Identität als Bausatz" wird vielmehr zum zentralen Argument neoliberaler Ideologie für die Ausweitung der Kampfzone des Marktes auf alle Bereiche menschlichen Lebens. Zwischen dem, was wir sein sollen beziehungsweise sein wollen, und dem, was wir sind, tut sich eine Kluft auf, ein Riss, den ich in meinen Bildern thematisiere. Alles erscheint heute etwas auswegloser als zu der Zeit, als Richard Prince noch jung war. Das damals kritische Anliegen ist in vielerlei Hinsicht gescheitert, und was heute bleibt, ist – vorerst – eine Art Bestandsaufnahme oder auch Zustandsbeschreibung.
f.e. – Der amerikanische Fotokurator und Kritiker A. D. Coleman sprach bereits 1976, noch vor Cindy Sherman und Jeff Wall, von einem aufkommenden „directorial mode“, einer Fotografie der Regisseure. Heutige künstlerisch fotografische Praktiken scheinen hingegen einem „editorial mode“ zu folgen, einer Kunst der Recherche und Bildauswahl, wie sie etwa Peter Piller betreibt. Wo würdest du da deinen Platz sehen?
m.s. – Ich habe mich zwischen die Stühle gesetzt. Im Ernst, ich kann meiner Praxis keine griffige Formel überstülpen. Ich greife mir ein paar der vorbeischwimmenden Bilder, halte sie kurz an, re-programmiere sie, schreibe sie um und schleuse sie dann in veränderten Kontexten wieder in den Bilderstrom ein. Es geht mir darum, den Code der Bilder zu verändern, und das ginge durch die Praxis der reinen Re-Präsentation, wie wir sie schon von Richard Prince oder Hans-Peter Feldmann kennen und wie sie heute durch einige Künstler mit kuratorischem Gestus wieder auflebt, nur im begrenztem Maße. Am ehesten würde ich mich als Foto-Monteur bezeichnen.
f.e. – Das ist eine interessante Perspektive, den Fotomonteur / die Fotomonteurin, diese heroische Figur der Moderne, als Referenz anzuführen. Auch wenn die großen Fotomonteure der Zwanziger- bis Siebzigerjahre aus der bildenden Kunst und ihrer revolutionären Praxis gekommen sind und eben nicht aus der klassischen Fotografie.
m.s. – Wobei die Intention für die Schnitte im Bild heute, nachdem die Postmoderne die Brüche der modernen Helden wieder zugekleistert hat, eine andere sein muss. Wir leben in einem Umfeld, das zunehmend von sich überlagernden und konkurrierenden Realitäten und somit auch Realismen gekennzeichnet ist. Die oberflächliche Einheit der menschlichen Identität und analog dazu des Bildes ist eine Illusion und nicht haltbar. In meinen Montagen spielt neben der Aneignung von Bildern auch das eigene Fotografieren einzelner Bildteile eine große Rolle. Natürlich erklärt sich das daraus, dass ich aus der Fotografie komme. Man könnte auch sagen, dass ich mich dadurch in die Lage versetze, mit dem, was in den Medienbildern verhandelt wird, in einen Dialog zu treten.
f.e. – Dein kritischer Blick richtet sich auf unsere aktuelle Bildkultur, welche im Moment der Sensation keinen Platz zur Reflexion und keine Möglichkeit der Widerrede zulässt. Deine künstlerische Wiederrede findet aktuell im Ausstellungsraum statt. Wie lässt sich eine Form der visuellen Kritik finden, die auch im Netz ihren Platz haben könnte?
m.s. – Die Frage ist schwer zu beantworten, denn das Netz funktioniert vor allem gemäß einer Ökonomie der Aufmerksamkeit. Dort, im World Wide Web, befinden sich alle Inhalte und Bilder, die zu uns wollen, auf uns einströmen, uns heimsuchen. Ich selbst schätzte es sehr, diese Bewegung wieder umzukehren, mich zu den Bildern in Ausstellungsräumen zu begeben und mich vor Ort in aller Ruhe mit ihnen auseinanderzusetzen.
f.e. – Was bedeutet dein Schnitt ins digitale Material der zirkulierenden Bilder in der neuesten Arbeit Invasive Links; das Einfügen von eigener Bildsubstanz in die nicht selten unheimliche Omnipräsenz visueller Information?
m.s. – Mit Invasive Links setzte ich unsere Lebenswirklichkeit mit den Schauplätzen von Krieg, Katastrophen und Armut in anderen Regionen der Welt visuell in Bezug. Die Bildräume sind bearbeitete Screenshots von Videos aus dem Internet. Es sind Bilder, die uns direkt aus den Mobiltelefonen der Gotteskrieger oder Flüchtenden erreichen, ungefiltert, ungebremst, mit augenscheinlicher Authentizität. Die Schauplätze sind de facto so etwas wie No-Go-Areas. Oft ist eine journalistische Berichterstattung vor Ort nicht möglich, und dennoch sind diese Bilder verfügbar. Die Motivation, warum sie entstehen und verbreitet werden, ist nicht immer ersichtlich. Werden Journalisten zukünftig nur noch als Datenschürfer arbeiten, die sich auch solcher Quellen bedienen? Trotz der oft bestechenden Unmittelbarkeit dieser Bilder bleibt das ferne Geschehen seltsam unreal. Was sich verfängt, ist vielleicht das vage Gefühl einer Mitschuld oder Mitverantwortlichkeit, vielleicht auch unterschwellige Furcht. Die Bilder aus den sozialen Medien und Videoplattformen lassen uns erahnen, dass wir mit dem, was wir dort sehen, etwas zu tun haben. Gleichzeitig versetzen sie uns in eine Position der Handlungsunfähigkeit. Es bleibt abzuwarten, in welcher Weise diese Bilder unsere Realität und das, was wir dafür halten, verändern werden.
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